Wohnen Magazin Klar

So wie ich bin!

Eine Betreuungsperson mit einer Beeinträchtigung? Das geht. Christoph Weber beweist‚ dass Inklusion auch beim Fachpersonal möglich ist und eine Bereicherung für alle sein kann. Noch ist er ein Einzelfall bei der Stiftung Brändi.

Teamunfähig. Das hörte Christoph Weber 20 Jahre lang und verlor einen Job nach dem anderen. «Da muss was dran sein, dachte ich, und wollte Gegensteuer geben», erinnert er sich. «Ich sagte mir: Wo kann ich soziales Verhalten besser lernen als im sozialen Bereich?» Deshalb startete der heute 40-Jährige 2017 die Ausbildung zum Sozialpädagogen. Das Studium brach er ab, da sich die Situation im Team erneut zuspitzte und er keine passendere Handlungsmöglichkeit schaffen konnte. Christoph Weber gab nicht auf und wandte sich an eine Fachstelle. Die vorläufige Diagnose der noch andauernden Abklärung: Züge von Autismus-Spektrum-Störung (ASS). «Das erklärt einiges», sagt Weber mit Blick auf sein bisheriges Leben.

Die ASS-Züge machen Christoph Weber zu einem Menschen, der direkt sagt, was er denkt. Er fragt hemmungslos zurück und kommentiert – was sein Gegenüber zuweilen vor den Kopf stösst. «Genau das macht ihn echt und immer greifbar», sagt seine Vorgesetzte Michèle Hopfengärtner. Sie erlebt Christoph Weber zudem als ehrlich, respektvoll, intelligent und als einen im positiven Sinne kritischen Menschen. Er sei auch loyal, dankbar und wertschätzend, ergänzt Weber: «All diese Werte lebe ich. Jedoch muss man erst an den Punkt kommen, diese bei mir zu erkennen. Man muss sich auf mich einlassen.»

« Ich stand kurz vor dem Existenzverlust. Das Brändi gab mir eine Perspektive und vor allem Struktur. »
Christoph Weber

Genau das hat die Stiftung Brändi getan. Christoph Weber erhielt die Chance für einen Schnuppereinsatz. «Ich startete mit grossem Misstrauen», verriet er. «Nach den ersten drei Wochen liess sich erahnen, dass im Bereich Wohnen in Ausbildung ein anderer Umgang und eine grosse Wertschätzung auf Teamebene besteht. Sie nahmen mich so, wie ich bin. Das schätze ich sehr und gibt mir zusätzliche Sicherheit.» Abteilungsleiterin Michèle Hopfengärtner sah von Beginn weg Potenzial bei ihm und setzte sich dafür ein, dass er sich im Rahmen eines Praktikums bestätigen konnte. Auch hier leistete Christoph Weber als Betreuer seinen Beitrag. Seine Haltung damals: «Ich war bereit herauszufinden, ob ich am richtigen Ort bin.» Es fühlte sich einmal mehr für beide Seiten passend an. Die Stiftung Brändi offerierte ihm daraufhin eine befristete Festanstellung. Weber sagte zu. «Ich stand kurz vor dem Existenzverlust. Das Brändi gab mir eine Perspektive und vor allem Struktur, die für mich sehr wichtig ist.»

Inklusion ist für die Stiftung Brändi ein zentrales Thema. Menschen mit einer Beeinträchtigung sollen teilhaben und mitbestimmen können. «Ich verstehe Inklusion als etwas Vollumfängliches », sagt Michèle Hopfengärtner. «Es wäre daher für mich ein Widerspruch, wenn wir unsere Jugendlichen inkludieren und uns auf personeller Ebene vor Inklusion verschliessen würden.» Bereits nach wenigen Monaten zeigen sich die Vorteile, Christoph Weber im Team Wohnen in Ausbildung zu haben. «Er hat einen anderen Blickwinkel und stellt kritische Fragen. Das bringt unsere Unternehmung weiter», so Hopfengärtner. Beispielsweise sind offene Fenster, tickende Uhren oder sich überlappende Gespräche für Menschen mit ASS-Zügen Störfaktoren, die ihnen das fokussieren erschweren. 

Christoph Weber schafft es, solche Umstände zu identifizieren und die Situation für ASS-Betroffene bei der Stiftung Brändi zu verbessern. Weber kann ihr Leben damit vereinfachen und er erreicht sie auf einer anderen Ebene, mit einem ganz anderen Verständnis. Sie fühlen sich von ihm verstanden. Zudem vermittelt er den Jugendlichen, dass nicht nur sie in einer herausfordernden Situation sind. «Auch ich bin es und habe trotz ständigen Rückschlägen etwas erreicht», sagt Weber.

Christoph Weber ist eine Ergänzung. Für die Jugendlichen und das Team. Für die Stiftung Brändi insgesamt. Hier kann er endlich sein, wer er ist. Muss sich nicht verstellen und den «Teamfähigen» spielen. Das geht, weil alle genau wissen, woran
sie sind. «Es braucht volle Transparenz», sagt Michèle Hopfengärtner: «Wir haben allen offen kommuniziert, dass Christoph ASS-Züge hat. Das hat sich bewährt.» Und soll sich wieder bewähren. Denn Hopfengärtner wünscht sich, dass die Inklusion auf personeller Ebene bei der Stiftung Brändi weitergeht. Dass weitere Persönlichkeiten auf Christoph Weber folgen, um das Spektrum an Sichtweisen auszudehnen und das Zusammenleben und Zusammenarbeiten weiter zu bereichern. 

Von Manuel Huber, Illustration Raise your Flag