Berufliche Integration Magazin Klar Wohnen

Zwei neue Familien

2019 war für Severine Binzegger ein Jahr der Veränderung: Start ins Berufsleben, Wohnen bei der Stiftung Brändi und Quidditch – der Sport aus den Harry-Potter-Büchern. Das alles brachte Ordnung in ihr Leben und stärkte ihr Selbstvertrauen.

Wespenfallen? Sind leider ausverkauft. Severine Binzegger musste in diesem Sommer viele Kundinnen und Kunden im Coop Bau & Hobby in Stans vertrösten. Dort startete sie im August ihre zweijährige Lehre als Detailhandelsassistentin Polynatura EBA. Auch wenn ein Produkt nicht erhältlich ist, versucht sie zu helfen. «Ich suche immer die bestmögliche Lösung für den Kunden und zeige gerne auch Alternativen auf», sagt die 16-Jährige. Zum Beispiel, wie man aus einer Pet-Flasche eine Wespenfalle selber baut. «Man schneidet den oberen Teil ab, klebt ihn umgekehrt auf den unteren Teil und füllt Sirup in die Flasche. Die Wespen fliegen rein und finden nicht mehr raus. So einfach ist das.»

Der Start in die Lehre ist gelungen, auch weil sie zuvor eine einjährige Vorlehre bei IKEA absolvierte. «Arbeiten war nichts Neues für mich. Ich war es beispielsweise gewohnt, auf Kunden zuzugehen.» Der Start in der Pflanzenabteilung war eine Herausforderung, denn alle Produkte waren für die Lernende neu. «Ich musste akzeptieren, dass ich nicht alles von Anfang an kann und sagte mir täglich: Ich bin hier, um zu lernen.» Mit dem Laubbläser hat sie sich bis heute nicht angefreundet. «Ich verteile das Laub damit mehr als ich es zusammentrage», sagt Severine Binzegger lachend. Und welche Stärke half ihr beim Start? «Man muss mir Sachen nur einmal erklären.»

Die Stiftung Brändi hat Severine Binzegger auf dem Weg ins Berufsleben unterstützt. Während ihrer Vorlehre besuchte sie die hauseigene Berufsschule, «um  Wissenslücken aufzufüllen», und sie nutzte das Angebot «Wohnen in Ausbildung». Ein Jahr lebte sie mit anderen Jugendlichen in einer WG in Kriens. «Man ist gut betreut und lernt, selbstständig zu leben. Ich benötigte aber nicht viel Unterstützung und wollte, dass jemand anderes das Angebot nutzen kann», erklärt Binzegger. Daher zog sie im Frühsommer in eine WG nach Emmenbrücke, in der sie selbstständiger leben kann, aber dennoch begleitet ist. «Das passt sehr gut. Wir sind wie eine Familie, es ist ein gutes Miteinander. Und wenn es Probleme gibt, sprechen wir diese mit der Betreuungsperson an.»

Severine Binzegger hat noch eine Familie gefunden, beim Quidditch. Sie spielt diesen Sport aus den Harry-Potter-Büchern seit einem Jahr beim Team Pilatus Patronus Luzern. Hier kann sie weitere Stärken ausspielen: klar denken, wenn vieles gleichzeitig passiert, den Überblick behalten, nach Lösungen suchen. Mit viel Leidenschaft erzählt sie von Quaffel und Snitch, von Teamgeist und Toleranz. «Wir sind eine Familie. Man wird so akzeptiert, wie man ist. Der Sport gibt mir viel Selbstvertrauen.» Das ist spürbar. Die junge Frau wirkt selbstsicher und ruhig. Umso erstaunlicher ist es, dass sie sich als «Chaos-Mensch» bezeichnet. Wobei Severine Binzegger immer weiss, wo sie was im Chaos findet. Aber da ist auch Chaos in ihr, und zuweilen braucht sie jemanden, der ihr hilft, Ordnung in sich zu schaffen. Ihr Ausbildungsort und ganz besonders ihre «zwei Familien» unterstützen sie dabei.

Von Manuel Huber, Bild: Fotosolar